Ein 12.000-Volt-Erdkabel mutiert zu Kleinkunst
Ein Beitrag von Jens Johannsen
Es war nur ein kleiner Unfall, so schien es jedenfalls, ohne Verletzte und ohne einen
erkennbaren Schaden am Unfallauto. Doch die Bauarbeiter des Energieversorgungsunternehmens, die gerade ihr neues 12.000-Volt-Erdkabel im
Austausch gegen ein altes verlegen wollten, kamen zu einem anderen Ergebnis. Das
Unfallfahrzeug hatte das noch oberirdisch liegende Kabel geprellt, und um mögliche
unsichtbare Schäden, besonders auch im Innern des Kabel auszuschließen, wurde
entschieden, dass vorsorglich eine Kabellänge von 30 Metern abgetrennt und entsorgt
werden musste. Technisch keine schwierige Angelegenheit, wie interessierte
Passanten beobachten konnten, denn mit jeweils nur einem Handgriff an der
Kabelschere wurden Teilstücke in Längen von etwa 1,5 Meter zugeschnitten und zum
Fachleute mögen entscheiden, ob hier von Drähten oder von Litzen die Rede sein sollte |
Abtransport bereitgestellt.
Eines dieser einigermaßen leicht tragbaren Längen weckte erhebliche Begehrlichkeiten, die bei den Arbeitern bei Nachfrage um Mitnahme, freundliche Zustimmung erhielt. Die Erlaubnis war erteilt und das Kabel wanderte in die private Kellerwerkstatt. Das Basteln konnte beginnen.
Die treibende Kraft, um Herauszufinden, wie so ein Erdkabel aufgebaut ist, die
technische Neugier, konnte sich nun spontan entfalten.
Die wesentlichen Merkmale des Erdkabels, zwei feste, kaum auftrennbare Isoliermäntel aus relativ hartem Kunststoff, getrennt von 38 dünnen Kupferfäden und einem dünnen Kupferband zur Vermeidung von Kriechströmen, geben nach der Entfernung dieser zwei Isoliermäntel den Blick auf die in drei Lagen kunstvoll
gewundenen 37 Einzeldrähte aus Aluminium frei.
Eine Blume, die ewig blüht |
schlechterer Leiter als Kupfer, die geringeren Kosten des Aluminiums dürften wohl den Ausschlag gegeben haben.
Die Aluminium-Einzeldrähte in angemessener Länge, z. B von 50 cm – so war die erste
Planung – aus dem Erdkabel herauszulösen, erfordert erhebliches Geschick,
Anstrengung und Mühe, und dann taucht zwangsläufig die Frage auf, was nun mit
diesen 3 mm dicken Drähten geschehen soll. Die Suche und das Überlegen nimmt seinen Lauf; die entsprechenden Ideen scheinen sich wie zufällig und spontan einzustellen.
Dass an dieser Stelle der bekannte Zeichner und Künstler Picasso mit seinen nicht
unbekannten, in Strichform gezeichneten Tierbildern ins Spiel gekommen ist, mag
erstaunen. Aber Picassos Zeichnung vom Hund und die anderen Strichbilder sind
recht bekannt und zum Nachformen in Draht wie geschaffen.
Kunst trifft an dieser Stelle, wie man sieht, wie zufällig auf Technik.
Aus der Zusammenstellung von zwei Pelikanen und zwei Kamelen entstand das Foto unten, das als Postkarte gedacht ist und in dieser Ausgestaltung Liebhaber
gefunden hat.
Ein „künstlerischer Zoo“ wird eine reizvolle Postkarte |
Das Biegen der Tierbilder mag so manchen an seine erste Eignungsprüfung beim Arbeitsamt und der Berufsberatung zur Berufsfindung erinnern, so jedenfalls für Hamburger Lehrlinge im Metallgewerbe in den 50zigern.
Der Spaß an den ausdrucksvollen Produkten ist enorm und wird spätestens dann spürbar, wenn Freunde und Bekannte ihr Urteil abgeben und so ein Tier als Geschenk mit nach Hause nehmen.
Eine Marktlücke konnte mit dieser Kleinkunst allerdings nicht aufgetan werden, auch
nicht nach Einsatz einer einfachen Biegelehre, welche die Fertigung,
z. B. des Hundes, erheblich vereinfacht und die Fertigungszeit auf wenige Minuten
reduziert.
Eine bereits ausgediente MDF-Platte wird zur Biegelehre |
Auf der Suche nach geeigneten Anwendungen |
So lautete ein Urteil aus dem Fachhandel nach einer informellen Anfrage lapidar,
„..wir suchen hochpreisige Produkte“. Könnte das etwa bedeuten, dass der Al-Draht durch Golddraht ersetzt werden müsste ?
Quelle Text und Bildmaterial: Jens Johannsen